Verbrechen: Stories

Pressestimmen »Seine kühlen, klaren Texte wirkten wie mit dem Meissel gehauen. Trotzdem berührten sie stärker als alles, was auf Rührung aus war. Seine Geschichten waren nur wenige Seiten lang. Trotzdem erzählten sie mehr über Leben und Tod als manch weitschweifender Roman der deutschen Gegenwartsliteratur.«, NZZ Folio Published On: 2014-02-03»Diese Geschichten sind deswegen so ergreifend, weil der Erzähler kontrolliert jegliches Pathos vermeidet. Seine kühle Prosa ist die literarische Entdeckung des Jahres.«, Abendzeitung Published On: 2009-12-24»Wer einem Nichtjuristen die Welt und das Wirken eines Strafverteidiger näher bringen will, dem sei unbedingt Ferdinand von Schirachs Verbrechen ans Herz gelegt. Nicht nur wegen der klaren, präzisen, schönen Sprache, mit der er seine Geschichten komponiert. Sondern auch, weil man nur selten eine literarisch so gekonnte Auseinandersetzung mit dem Schuldprinzip des deutschen Strafrechts findet. Schirach ist ein außergewöhnliches Buch gelungen, für Juristen und Nichtjusristen gleichermaßen.«, Financial Times Deutschland Published On: 2009-12-15»Ein erfolgreicher Berliner Strafverteidiger erweist sich als bestürzend scharfsichtiger Erzähler, der in schlaglichtartigen Geschichten zeigt, wie sich die Parallelwelt des Verbrechens in der bürgerlichen Welt einnistet.«, Literarische Welt Published On: 2009-12-05»Ein Anwalt erzählt, wie das Leben so spielt – messerscharf und zärtlich zugleich. Von dem Mann möchte man sich sofort verteidigen lassen.«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Published On: 2009-11-29»Man staunt über sein Vermögen, in nur vier, fünf kurzen Sätzen eine Stimmung, ein Gefühl für eine Atmosphäre, ein Gesicht, einen Charakter entstehen zu lassen (….) eine echte Meisterleistung… Dies hier ist eine besonders dringliche Leseaufforderung!«, Falter (A) Published On: 2009-11-26»Eines ist den Geschichten allen gemein: Sie erzählen von menschlichen Dramen und geben den Blick frei in seelische Abgründe. Schirach ist nicht nur ein erfolgreicher Strafverteidiger, er erweist sich auch als begnadeter Erzähler(...) Das reale Leben hält mehr Tragödien bereit, als Krimiautoren erfinden könnten. Sehr lesenswert.«, Buchmarkt Published On: 2009-11-03»Jede einzelne Geschichte beweist, dass die Wirklichkeit viel bizzarer sein kann, als die abseitigste Fantasie eines Krimi-Autors. Schirach erzählt ganz nüchtern und undramatisch, was eben deshalb seine Wirkung nicht verfehlt.«, Der Standard (A) Published On: 2009-10-31»Was an diesem Buch in Bann schlägt, ist die Formvollendetheit, die reine Sprachästhetik. Schirach schreibt nicht über das Verbrechen, er formt das Verbrechen zu Literatur. Er überwindet nicht schreibend das Chaos, sondern erhebt es zu einem ästhetischen Phänomen. Das ist faszinierend und beunruhigend zugleich.«, taz Published On: 2009-10-31»Schirachs Texte sind nicht genuin komisch, es sind eher kleine komische Funken, die vor dem meist rabenschwarzen Hintergrund manchmal trivialer, manchmal tragischer Verbrechen um so heller leuchten.«, Titanic Published On: 2009-10-10 Über den Autor und weitere Mitwirkende Der SPIEGEL nannte ihn einen »großartigen Erzähler«, die NEW YORK TIMES einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der INDEPENDENT verglich ihn mit Kafka und Kleist, der DAILY TELEGRAPH schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Ferdinand von Schirachs Erzählungsbände »Verbrechen« und »Schuld« und seine Romane »Der Fall Collini« und »Tabu« wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern, die bisher in mehr als 40 Ländern erschienen sind. Sein erstes Theaterstück »Terror« wurde parallel am Deutschen Theater Berlin und am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt. Schirach wurde mit mehreren – auch internationalen – Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Seinen Erfolg erklärt die französische LIBÉRATION so: »Schirachs Meisterleistung ist, uns zu zeigen, dass – egal wie monströs dessen Taten zunächst scheinen mögen – ein Mensch doch immer ein Mensch ist.« Ferdinand von Schirach lebt in Berlin. Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten. Vorwort Jim Jarmusch hat einmal gesagt, er würde lieber einen Film über einen Mann machen, der mit seinem Hund spazieren geht, als über den Kaiser von China. Mir geht es genauso. Ich schreibe über Strafverfahren, ich habe in mehr als siebenhundert verteidigt. Aber eigentlich schreibe ich über den Menschen, über sein Scheitern, seine Schuld und seine Großartigkeit. Ich hatte einen Onkel, der Vorsitzender Richter an einem Schwurgericht war. Diese Gerichte sind für Tötungsdelikte, für Mord und Totschlag, zuständig. Er erzählte uns Fälle, die wir als Kinder verstanden haben. Sie begannen immer da- mit, dass er sagte: »Die meisten Dinge sind kompliziert, und mit der Schuld ist es so eine Sache.« Er hatte recht. Wir laufen den Dingen hin­terher, sie sind schneller als wir, und am Ende können wir sie nicht erreichen. Ich erzähle von Mördern, Drogendealern, Bankräubern und Pros­tituierten. Sie haben ihre Geschichte, und sie unterscheiden sich nicht sehr von uns. Wir tanzen unser Leben lang auf einer dünnen Schicht aus Eis, darunter ist es kalt, und man stirbt schnell. Manche trägt das Eis nicht, und sie brechen ein. Das ist der Moment, der mich interessiert. Wenn wir Glück haben, passiert es nicht, und wir tanzen weiter. Wenn wir Glück haben. Mein Onkel, der Richter, war im Krieg bei der Marine, sein linker Arm und seine rechte Hand wurden von einer Granate abgerissen. Er hat trotzdem lange nicht aufgegeben. Man sagt, er sei ein guter Richter gewesen, menschlich, ein aufrechter, gerechter Mann. Er ging gerne auf die Jagd, er hatte ein kleines Revier. Eines Morgens ging er in den Wald, er nahm den Dop­pellauf seiner Schrotflinte in den Mund und drückte mit dem Stumpf seines rechten Armes ab. Er trug einen schwarzen Rollkragenpulli, sein Jackett hatte er über einen Zweig gehängt. Sein Kopf zerplatzte. Viel später habe ich die Bilder gesehen. Er hinterließ einen kurzen Brief an seinen besten Freund, er schrieb, dass er einfach genug habe. Der Brief begann mit den Worten: »Die meisten Dinge sind kompliziert, und mit der Schuld ist es so eine Sache.« Er fehlt mir immer noch. Jeden Tag. Von solchen Menschen und ihren Geschichten handelt das Buch. Fähner Friedhelm Fähner war sein Leben lang prak­tischer Arzt in Rottweil gewesen, 2800 Krankenscheine pro Jahr, Praxis an der Hauptstraße, Vorsitzender des Kulturkreises Ägypten, Mitglied im Lionsclub, keine Straftaten, nicht einmal Ordnungswidrigkeiten. Neben seinem Haus besaß er zwei Mietshäuser, einen drei Jahre alten Mercedes E-Klasse mit Lederausstattung und Klimaautomatik, etwa 750000 Euro in Aktien und Obligationen und eine Kapitallebensversicherung. Fähner hatte keine Kinder. Seine einzige noch lebende Verwandte war seine sechs Jahre jüngere Schwester, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in Stuttgart lebte. Über Fähners Leben hätte es eigentlich nichts zu erzählen gegeben. Bis auf die Sache mit Ingrid. Mit 24 Jahren hatte Fähner Ingrid auf dem sechzigsten Geburtstag seines Vaters kennengelernt. Auch sein Vater war Arzt in Rottweil gewesen. Rottweil ist eine durch und durch bürgerliche Stadt. Jedem Fremden wird ungefragt erklärt, die Stadt sei von den Staufern gegründet und die älteste in Baden-Württemberg. Tatsächlich trifft man hier auf mittelalterliche Erker und hübsche Stechschilder aus dem 16.Jahrhundert. Die Fähners waren schon immer hier. Sie gehörten zu den sogenannten ersten Familien der Stadt, waren anerkannte Ärzte, Richter und Apotheker. Friedhelm Fähner ähnelte dem jungen John F. Kennedy. Er hatte ein freundliches Gesicht, man hielt ihn für einen sorglosen Menschen, die Dinge glückten ihm. Nur wenn man genauer hinsah, fiel etwas Trauriges, etwas Altes und Dunkles in seinen Zügen auf, wie man es nicht selten in dieser Gegend zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb sieht. Ingrids Eltern, Apotheker in Rottweil, brachten ihre Tochter zu der Feier mit. Sie war drei Jahre älter als Fähner, eine handfeste Provinzschönheit mit schweren Brüsten. Wasserblaue Augen, schwarze Haare, blasse Haut – sie war sich ihrer Wirkung bewusst. Die seltsam hohe, metallische Stimme, die keinerlei Modulation zuließ, irritierte Fähner. Nur wenn sie leise sprach, hatten ihre Sätze eine Melodie. Sie hatte die Realschule nicht abgeschlossen und arbeitete als Kellnerin. »Vorübergehend«, sagte sie zu Fähner. Ihm war das gleichgültig. Sie war ihm auf einem anderen Gebiet, das ihn mehr interessierte, weit voraus. Fähner hatte bis dahin nur zwei kurze sexuelle Kontakte mit Frauen gehabt; sie hatten ihn eher verunsichert. Er verliebte sich sofort in Ingrid. Zwei Tage nach der Feier verführte sie ihn nach einem Picknick. Sie lagen in einer Wetterhütte, und Ingrid machte ihre Sache gut. Fähner war so durcheinander, dass er sie schon eine Woche später bat, ihn zu heiraten. Ohne zu zögern, nahm sie an: Fähner war eine sogenannte gute Partie, er studierte Medizin in München, er war attraktiv und liebevoll, und er stand kurz vor dem ersten Examen. Vor allem aber zog seine Ernsthaftigkeit sie an. Sie konnte das nicht formulieren, aber sie sagte ihrer Freundin, Fähner werde sie nie sitzen lassen. Vier Monate später wohnte sie bei ihm. Die Hochzeitsreise ging nach Kairo, es war sein Wunsch. Wenn man ihn später nach Ägypten fragte, sagte er, es sei »schwerelos«, auch wenn er wusste, dass ihn niemand verstand. Er war dort der junge Parsifal, der reine Tor, und er war glücklich. Es war das letzte Mal in seinem Leben. Am Abend vor der Rückreise lagen sie im Hotelzimmer. Die Fenster waren geöffnet, es war immer noch zu heiß, die Luft staute sich in dem kleinen Zimmer. Es war ein billiges Hotel, es roch nach faulem Obst, und von unten hörten sie den Straßenlärm. Trotz der Hitze hatten sie miteinander geschlafen. Fähner lag auf dem Rücken und verfolgte die Drehungen des Deckenventilators, Ingrid rauchte eine Zigarette. Sie drehte sich zur Seite, stützte ihren Kopf auf eine Hand und sah ihn an. Er lächelte. Sie schwiegen lange. Dann begann sie zu erzählen. Sie erzählte von den Männern vor Fähner, von Enttäuschungen und Fehlern, aber vor allem von dem französischen Oberleutnant, der sie geschwängert hatte, und von der Abtreibung, die sie fast getötet hätte. Sie weinte. Er erschrak und nahm sie in die Arme. Auf seiner Brust spürte er ihren Herzschlag, er war hilflos. Sie ist mir anvertraut, dachte er. »Du musst mir schwören, dass du auf mich aufpasst. Du darfst mich nie verlassen.« Ingrids Stimme zitterte. Es rührte ihn, er wollte sie beruhigen, er habe das doch schon in der Kirche bei der Hochzeit geschworen, er sei glücklich mit ihr, er wolle … Sie unterbrach ihn hart, ihre Stimme wurde lauter, sie hatte jetzt den metallisch-farblosen Klang. »Schwöre es!« Und plötzlich verstand er. Das war kein Gespräch unter Liebenden, der Ventilator, Kairo, die Pyramiden, die Hitze des Hotelzimmers – alle Klischees verschwanden schlagartig. Er schob sie ein Stück von sich, um ihr in die Augen sehen zu können. Dann sagte er es. Er sagte es langsam, und er wusste, was er sagte. »Ich schwöre es.« Er zog sie wieder zu sich und küsste ihr Gesicht. Sie schliefen noch einmal miteinander. Diesmal war es anders. Sie saß auf ihm, sie nahm sich, was sie wollte. Sie waren ernst, fremd und einsam. Als sie kam, schlug sie ihm ins Gesicht. Später lag er noch lange wach und starrte an die Decke. Der Strom war ausgefallen, der Ventilator bewegte sich nicht mehr. Natürlich bestand Fähner sein Examen mit Auszeichnungen, legte seine Promotion ab und bekam eine erste Stelle im Kreiskrankenhaus Rottweil. Sie fanden eine Wohnung, drei Zimmer, Bad, Blick auf den Waldrand. Als der Hausrat in München eingepackt wurde, warf sie seine Plattensammlung weg. Er bemerkte es erst beim Einzug in die neue Wohnung. Sie sagte, sie könne die Platten nicht ausstehen, er habe sie mit anderen Frauen gehört. Fähner war wütend. Sie sprachen...

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